Irrungen und Wirrungen bei der Anwendung der Fluggastrechte-Verordnung

Irrungen und Wirrungen bei der Anwendung der Fluggastrechte-Verordnung

Die sog. Fluggastrechte-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004) ist nicht nur, aber doch weit überwiegend ein Regelwerk, das das Ziel hat, das Schutzniveau der Fluggäste sicherzustellen und zu erhöhen. Dass sie von den Luftfahrtunternehmen nicht besonders geschätzt wird, liegt auf der Hand. Denn in einer Zeit, in der Unternehmen generell nur noch profitorientiert denken und dem Gesichtspunkt der Kundenpflege zunehmend weniger Beachtung schenken, werden die Ausgleichsleistungen allein eine zusätzliche finanzielle Belastung angesehen.

Die Verordnung wurde und wird aber nicht nur von zahlreichen Unternehmen im Alltag ignoriert; sie wurde  auch schon vor ihrer Entstehung, und erst recht danach aktiv bekämpft, indem man sie immer wieder auf den juristischen Prüfstand gestellt hat. So wurde der Europäische Gerichtshof schon im Jahr 2004 mit der Frage konfrontiert, ob der Gemeinschaftsrechtsakt nicht ungültig sei, weil er gegen internationales Recht (das Montrealer Übereinkommen) verstoße. Mit der sog. IATA-Entscheidung vom 10.1.2006 (Rs. 344/04) hat der Europäische Gerichtshof das aber verneint.

Den Zorn der Luftfahrtbranche erregte dann drei Jahre später das sog. Sturgeon-Urteil (Rs. 402/07) Luftfahrtbranche, mit dem der Europäische Gerichtshof festgestellt hat, dass –  entgegen dem Wortlaut der Verordnung – Fluggäste auch bei einer großen Verspätung einen Anspruch auf eine Ausgleichsleistung haben, weil große Verspätungen der Nichtbeförderung und der Annullierung gleichzustellen seien.

Prompt strengten einige Luftfahrtunternehmen ein weiteres Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof an, um zu erreichen, dass das Gericht diese Entscheidung revidiert. Die Begründung: der Europäische Gerichtshof habe seine Auslegungskompetenz überschritten und sich in Widerspruch zum höherrangigen Recht gesetzt. Am 23. Oktober 2012 hat nun der Europäische Gerichtshof (Rs. C-581/10 – Nelson; C-629/10 – TUI Travel) seine im Sturgeon-Urteil niedergelegte Rechtsauffassung aber ausdrücklich bestätigt, was nur wenige wirklich überrascht haben dürfte.

Damit ist der Streit über eine grundsätzliche Frage beigelegt worden. Wer aber nun glaubt, dass auf dem Gebiet der Fluggastrechte Rechtsfrieden eingekehrt sei, irrt. Es wird weiter heftig um jede Möglichkeit, den Fluggästen die verbrieften Rechte nicht zu gewähren, gesucht. Ansatzpunkte gibt es leider genug. Denn die sog. Fluggastrechte-Verordnung ist nur für denjenigen, der sich nicht intensiv mit ihr auseinandersetzt, ein klares Regelwerk. Bei der konkreten Anwendung der einzelnen Bestimmungen auf die vielfältigen Lebenssachverhalte im Alltag des Luftverkehrs zeigt sich aber, dass zahlreiche Fragen nicht beantwortet werden – überwiegend, weil sie von den Verfassern der Verordnung mangels Praxiswissens nicht gesehen wurden, so z.B. Fragen im Zusammenhang mit den außergewöhnlichen Umständen, Codeshare- und Subcharter-Flügen, Non-Stop-Flügen und unterbrochenen Flügen, die Bodenabfertigung durch Dritte.Daher beschäftigen diese Rechtsprobleme seit Jahren die Instanzgerichte, zum Teil bis an die Grenze der Belastbarkeit.

Wer aber meint, dass acht Jahre nach Inkrafttreten der Passagierrechte durch die Judikatur weitgehend Klarheit geschaffen wurde, irrt. Die Rechtsansichten der Instanzgerichte variieren teils erheblich, so dass sich nur bei wenigen Fragen eine klare „herrschende Meinung“ herausgebildet hat. Das liegt nicht so sehr daran, dass einige Anwälte und Richter der Ansicht sind, sie müssten den mit vom europäischen Gesetzgeber geschaffenen, aber für überzogenen gehaltenen Verbraucherschutz korrigieren; nach meiner Einschätzung hat die starke Divergenz der Judikatur ihre Ursache auch im fehlenden Verständnis einiger Anwender für die von der Dogmatik des deutschen Rechts abweichende Dogmatik des Europarechts.

Wenn es bei Anwendung europarechtlicher Regelwerke im Rahmen eines Rechtstreit vor einem Gericht eines EU-Mitgliedstaates zu einer Auslegungsfrage kommt, kann jedes Gericht die Frage dem Europäische Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorlegen; es muss das tun, wenn die Entscheidung selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann (Art. 267 AEUV). Diese Regelung wird weitgehend beachtet: Einige Spruchkörper der Instanzgerichte legen die offenen Rechtsfragen dem Europäischen Gerichtshof selbst zur Vorabentscheidung vor, andere lassen die Berufung zu bzw. die Revision zum Bundesgerichtshof, der dann zu prüfen hat, ob die Frage dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen ist.

Auf diesem Wege sind so schon zahlreiche Vorlagefragen formuliert worden. Es erstaunt aber, dass es dennoch nur relativ wenige Entscheidungen des BGH oder gar des Europäische Gerichtshof zur Fluggastrechte-Verordnung gibt. Der Grund: Aus Sorge vor einem möglicherweise für sie ungünstigen Urteil ziehen viele Luftfahrtunternehmen kurz vor oder nach der mündlichen Verhandlung die juristische Notbremse und erfüllen oder erkennen Ansprüche „aus Kulanz“ an, die sie zuvor vorgerichtlich und in allen unteren Instanzen stets negiert haben. Das Motiv ist leicht durchschaubar: Gibt es keine höchstrichterliche Entscheidung, kann man nicht selten unwissende Anspruch-steller oder Kläger mit dem Hinweis auf ein (für ein Luftfahrtunternehmen günstiges und rechtskräftig gewordenes) Instanz-Urteil entmutigen, wenn weder der Kläger noch sein Anwalt wissen, dass dieses in Rechtskraft erwachsene Urteil vor dem Bundesgerichtshof oder dem Europäische Gerichtshof keinen Bestand gehabt hätte.

Aufgrund der im Zivilprozessrecht verankerten Dispositionsmaxime hat jede Partei grundsätzlich das Recht, ein Verfahren zu steuern, d.h. zu entscheiden, wann sie es beenden will. Doch muss jeder Rechtssuchende auch mit der Ressource Justiz sorgsam umgehen. Wer einen Anspruch durchsetzen oder bekämpfen will, und „wegen grundsätzlicher Bedeutung“ einer Rechtsache oberste Gerichte mit ungeklärten Rechtsfragen befasst hat, soll m.E. dann die Klärung nicht nach Gusto verhindern dürfen. Das halte ich für einen Missbrauch. Und nicht zu vergessen: Jedes Verfahren, das aus dem Register des EuGH gestrichen wurde, war nicht nur eine Vergeudung der Ressource Justiz, sondern ist leider auch eine vertane Chance, mehr Rechtsklarheit, Rechtssicherheit und Rechtsfrieden zu schaffen! Parteiinteresse und Allgemeininteresse stehen sich in solchen Fällen gegeneinander.

Und deswegen begrüße ich ausdrücklich den Diskussionsvorschlag des ehemaligen Präsidenten des Bundesgerichtshofs und heutigen Ombudsmannes der Versicherungswirtschaft Prof. Dr. Günter Hirsch, der den „Missbrauch des Revisionsverfahrens“ (im Versicherungsrecht) angeprangert hat und deswegen eine Revision des Revisionsrechts fordert (VersR 2012, 929): Der Gesetzgeber könnte – so Hirsch – dem Ziel des Revisionsverfahrens (Sicherstellung der Rechtsklarheit und Rechtseinheitlichkeit im Interesse der Allgemeinheit) Vorrang vor der Parteidisposition geben, indem er „dem Revisionsgericht die Möglichkeit einer Klärung der rechtsgrundsätzlichen Frage im Interesse des Rechts einräumt, auch wenn das Interesse einer Partei oder beider Parteien an der Entscheidung entfallen ist,“ wenn die Sache entscheidungsreif ist und über den Einzelfall hinaus für eine Vielzahl von Fällen große Bedeutung hat.

Da sich der Missbrauch des Revisionsrechts aber nicht auf das Versicherungsrecht, das Luftverkehrsrecht und das Reiserecht beschränkt, wäre es sehr zu begrüßen, wenn dieser Vorschlag schnellstens vom Gesetzgeber aufgegriffen und umgesetzt würde. Ein Kraftakt wäre das wahrlich nicht! Ob aber die jetzige Bundesregierung noch die Kraft oder den Willen hat, wenigstens solche Projekte umzusetzen, muss leider bezweifelt werden. Doch könnten die Kommission der Europäischen Union bzw. das Europäische Parlament für europarechtliche Regelwerke dem Europäische Gerichtshof ein entsprechendes Recht einräumen und so auf supranationaler Ebene für die Fortentwicklung des europäischen Rechts und der europäischen Judikatur in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union sorgen.

Ticketerstattung nach Flugstorno

Ticketerstattung nach Flugstorno

Haben Sie Ihren gebuchten Flug stornieren müssen? Haben Sie den Flugscheinpreis vom Luftfahrtunternehmen zurückbekommen?

Wenn ein Fluggast einen gebuchten Flug stornieren muss und deswegen am Flug nicht teilnimmt, erspart sich die Fluggesellschaft Aufwendungen. Diese muss sie dem Kunden erstatten.

Hierbei handelt es sich in erster Linie um die Steuern und Gebühren, die am Flughafen anfallen. Daneben muss die Fluggesellschaft dem Fluggast aber darlegen, welchen Anteil an Kerosinkosten  sie einspart. Aber auch weitere Einsparungen infolge der Nichtteilnahme am Flug, wie zum Beispiel für die Verpflegung an Bord, müssen angegeben werden. Schließlich muss eine Fluggesellschaft darlegen, dass sie den Flugschein nicht anderweitig verkauft und somit einen Erlös erzielt hat. All diese Einsparungen müssen ausgerechnet und dem Fluggast bei einer Stornierung ausgezahlt werden.

Wenn die Fluggesellschaft nach Aufforderung durch den Fluggast eine solche Abrechnung nicht vornimmt, spricht die gesetzliche Vermutung für den Fluggast, dass 95 % des vereinbarten Entgelts infolge der Nichtbeförderung des Fluggastes als ersparte Aufwendungen zu betrachten sind. Die Fluggesellschaft muss dann diese 95 % des Ticket-preises an den Fluggast auszahlen. Wenn nein, lesen Sie den Beitrag meines Kollegen unter  http://unternehmen.focus.de/stornokosten-flug.html

In der Kanzlei  ADVOCATUR häufen sich die Anfragen von Passagieren, ob die Fluggesellschaft in ihren Fällen die Ticketentgelte zu Recht einbehält.

 

In den meisten Fällen bestehen gute Erfolgsaussichten für die Erstattung von Stornokosten

Meine Kollegen und ich helfen Ihnen auch bei der Durchsetzung dieser Ansprüche!

Streiks im Luftverkehr: Airline muss Folgen für Kunden mildern

Streiks im Luftverkehr: Airline muss Folgen für Kunden mildern

Muss ein Luftfahrtunternehmen einen Flug wegen eines Streiks seiner Piloten oder Flugbegleiter annullieren oder erheblich verspäten, so kann es sich wegen eines „außergewöhnlichen Umstandes“ im Sinne der Fluggastrechte-Verordnung (Artikel 5 ,Absatz 3) entlasten. Folge: Die Fluggäste können keine Ausgleichsleistung fordern. So hat es der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden (Urt. v. 21.08.2012 – X ZR 146/11).

Dass der BGH die Rechtsfrage nicht dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt hat, ist sehr zu bedauern, denn es wäre sinnvoll, wenn es eine einheitliche Rechtssprechung in Europa zu dem Thema gäbe. Fluggäste, die vor einem deutschen Gericht um eine Ausgleichsleistung streiten, müssen mit diesem Urteil leben, solange kein anderes Gericht die Rechtsfrage dem EuGH unmittelbar vorlegt.

Doch wurde und wird das BGH-Urteil in der Öffentlichkeit oft stark verkürzt wiedergegeben und dabei ein ganz wesentlicher Aspekt unterschlagen: Die Karlsruher Richter haben nämlich deutlich gemacht, dass ein Luftfahrtunternehmen auch im Fall eines Streiks vor allem darauf hinzuwirken hat, dass die Beeinträchtigung für die Gesamtheit der Fluggäste möglichst gering ausfällt und der normale Flugbetrieb nach dem Wegfall der Beeinträchtigungen möglichst schnell wieder aufgenommen werden kann.

Die Fluggesellschaft muss also geeignete und zumutbare Maßnahmen treffen, um den Folgen des Streiks zu begegnen und Annullierungen und große Verspätungen auf das unvermeidbare Maß zu beschränken. Dabei hat der BGH in Anbetracht der komplexen Entscheidungssituation, bei der eine Vielzahl von Flügen sowie deren Verknüpfung untereinander zu berücksichtigen sind, den Luftverkehrsunternehmen einen gewissen Spielraum bei der Beurteilung der zweckmäßigen Maßnahmen zugebilligt.

Doch muss die Fluggesellschaft durch ihren Streikplan darlegen, dass und wie sie unter Einhaltung dieser Anforderungen der ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen in dem gebotenen Umfang ausgeschöpft hat. Nur dann kann die unterbliebene oder verspätetet Durchführung eines einzelnen Fluges als unvermeidbar angesehen werden.

Und noch eines wird in der Darstellung der Rechte der Passagiere häufig übersehen: Der EuGH hat klargestellt hat, dass auch bei Vorliegen eines „außergewöhnlichen Umstandes“, also auch bei einem Streik, ein Luftfahrtunternehmen den betroffenen Fluggästen kostenfrei Unterstützungsleistungen erbringen muss, sie also – wo möglich – auf einen Alternativflug umbuchen oder den Flug kostenfrei stornieren muss. Ferner müssen die Passagiere ver-späteter Flüge nach zwei Stunden betreut werden. Ihnen sind angemessene Mahlzeiten, Getränke, Telefonate und – wo notwendig – auch eine Hotelübernachtung (mit Transfer) zu gewähren. Nach einer Wartezeit von fünf Stunden können die Fluggäste vom Flug zurücktreten. Wird der Flug storniert, ist der vollständige Endpreis des Fluges binnen sieben Tagen zu erstatten.

fvw vom 10.09.2014Quelle: http://www.fvw.de/streiks-im-luftverkehr-airline-muss-folgen-fuer-kunden-mildern/1/135227/15292

Wo ein Schlichter, da (oft) kein Richter*

Wo ein Schlichter, da (oft) kein Richter*

Eine konstruktiv-kritische Betrachtung der Schlichtung im Luftverkehr durch die Schlichtungsstelle öffentlicher Personenverkehr (söp).

Von Prof. Dr. Ronald Schmid**

Unter dem Titel “Schlichtung im Luftverkehr – turbulenzfreie Flughöhe (fast) erreicht” hat der Leiter der Schlichtungsstelle öffentlicher Personenverkehr (söp) in der Zeitschrift ReiseRecht aktuell [1] ein Editorial verfasst, das Anlass zur Stellungnahme gibt. Bei allem Verständnis für die Freude darüber, dass trotz des zunächst heftigen Widerstandes der Luftfahrtunternehmen die Schlichtung auch im Luftverkehr durchgesetzt werden konnte [2], muss an die Ausführungen einige Kritik herangetragen werden.

1. Die Ausführungen sind leider mangels Zahlen und Fakten nicht sehr transparent und machen nachdenklich. Während des Reiserechtstages der DGfR am 19.9.2014 in Berlin hat Isermann auf Nachfrage ausgeführt, dass die “Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (söp)” den Luftfahrtunternehmen bislang (nur) in 40 – 50 % der Schlichtungsverfahren zur Fluggastrechte-Verordnung die Zahlung von Ausgleichsleistungen in Höhe von 100% empfiehlt; im Übrigen erhielten die Antragsteller “mehr als die Hälfte”. Was heißt das genau? In der Publikumspresse [3] hat Isermann sogar ausgeführt, dass “in rund 80% aller Verfahren eine Einigung” erzielt werde. Kann und muss man daraus schlussfolgern, dass den Luftfahrtunternehmen in (nur) 20% der Schlichtungsverfahren empfohlen wird, dem Antragsteller die Ausgleichsleistungen in voller Höhe zu zahlen? Denn einer “Einigung” bedarf es nach meinem Verständnis nur, wenn über die Berechtigung des Anspruchs in voller Höhe Zweifel bestehen.[4] Es darf erwartet werden, dass in künftigen Tätigkeitsberichten genauere Zahlen publiziert werden, weil nur so die gebotene Transparenz hergestellt wird. Art. 2 Abs. 2 lit. d) der (in Deutschland noch nicht umgesetzten) Richtline 2013/11/EU [5] mag als Muster dafür dienen.

Die vom Verfasser des vorerwähnten Editorials genannten Zahlen mögen den mit der Materie wenig vertrauten Betrachter beeindrucken. Ich meine hingegen, dass die Praxis der Schlichtung nicht nur das geltende Recht beachten, sondern auch die Praxis der Gerichte (wenigstens annähernd) widerspiegeln muss.[6] Nach meiner forensischen Erfahrung seit 2005 erhalten weitaus mehr Fluggäste (>80%) die vollen Ausgleichsleistungen[7], jedenfalls dann, wenn sich die Fluggäste von diesbezüglich erfahrenen Anwälten beraten und betreuen lassen[8]. Wenn einige Fluggäste von den Gerichten weniger erhalten, liegt das häufig daran, dass sie von Anwälten vertreten werden, die sich nur gelegentlich mit Ansprüchen aus der Fluggastrechte-Verordnung beschäftigen und daher nicht die erforderliche vertiefte Kenntnis haben (können), um juristische Fallstricke erkennen oder das “prozessstrategische” Verhalten der Airlines und ihrer Rechtsvertreter durchschauen zu können. Wo aber keine “Waffengleichheit” mit den Juristen der Luftfahrtunternehmen besteht, ist die optimale Durchsetzung der Ansprüche erheblich gefährdet und führt deswegen nicht selten zu kaum vertretbaren Vergleichen, gelegentlich auch zu nicht notwendigen Klagerücknahmen.

Wenn also die söp in nur relativ wenigen Fällen den Luftfahrtunternehmen die vollständige Zahlung des Ausgleichsanspruches empfiehlt, dann liegt das möglicherweise auch daran, dass von einem sachbearbeitenden “Schlichter”[9] ohne Prozesserfahrung auf dem Gebiet der Fluggastrechte-Verordnung ein Prozessrisiko gesehen und dem Antragsteller aufgezeigt wird, das aus Sicht eines mit dieser Rechtsmaterie auch forensisch erfahrenen Anwalts oft eher nicht besteht. Hier offenbart sich m.E. eine Schwachstelle der Schlichtung, die kurz mit den Worten “Kluft zwischen Theorie und Praxis” umschrieben werden kann: Auch wenn ich dem Gedanken der alternativen Streitbeilegung weiterhin positiv gegenüberstehe, darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass ein in forensischen Auseinandersetzung nicht erfahrener Schlichter ein Prozessrisiko u.U. anders einschätzen wird als ein erfahrener Anwalt, der aus den Erfahrungen im täglichen Kampf um die Fluggastrechte auch konkret beurteilen kann, bei welchem Richter oder welcher Richterin welchen Gerichts er welche Ansprüche erfolgreich durchsetzen kann oder nicht. Und im Zweifel kann auch ein Gericht eine streitige Auseinandersetzung durch klare Hinweise und die Unterbreitung eines überzeugenden Vergleichsvorschlags schlichten. [10]

2. Schlichtungsstellen sind nicht per se “unabhängig und objektiv”. Und schon gar nicht werden sie von der Öffentlichkeit immer so wahrgenommen.[11] Es ist sicher hilfreich, aber allein nicht ausreichend, dass die Schlichtungsstelle mit einer als vertrauenswürdig eingeschätzten Person besetzt wird.[12] Wenig aussagekräftig ist auch ein Hinweis, dass viele Antragsteller “mit dem Schlichtungsvorschlag zufrieden” sind. [12a]

Ob die söp wirklich als “unabhängig und objektiv” angesehen werden kann, lässt sich mangels ausreichender Informationen noch nicht verifizieren. Bedenken können schon deswegen bestehen, weil a) der (private) Trägerverein der söp ausschließlich aus Verkehrsunternehmen (also auch beteiligten Luftfahrtunternehmen) besteht und b) die Schlichtung von Streitigkeiten über Fluggastrechte von Luftfahrtunternehmen finanziert wird, die neben dem jährlichen Mitgliedsbeitrag auch für jede bearbeitete Beschwerde einen “Fallpauschalsatz” entrichten müssen.[13] Diese finanzielle Abhängigkeit [14] einer Schlichtungsstelle von den beteiligten Unternehmen könnte der Keim für Zweifel an der Unabhängigkeit der Schlichtung sein, wenn der Anschein eines möglichen Interessenkonflikts [15] nicht vollständig ausgeräumt wird.[16] Daher erscheint es mir gerade in solchen Fällen in besonderem Maße geboten, dem durch absolute Transparenz entgegenzutreten.

Ein Indiz für die Unabhängigkeit könnte sich aus der Betrachtung des Kontroll-oder Aufsichtsgremiums ergeben. Leider gibt es ein solches Gremium bei der söp nicht. Es wurde lediglich ein Beirat eingerichtet, dessen Mitglieder auf der Website der söp nicht genannt werden. Dieser muss der Bestellung und Abberufung der Schlichter der Verfahrensordnung zustimmen[17], hat aber offensichtlich nicht die Aufgabe, die Tätigkeit der söp kritisch zu begleiten oder gar zu kontrollieren.[18] Vielmehr soll der Beirat die Schlichtungsstelle nur “unterstützen”,[19] was auch immer das heißen mag. Der Beirat kann zwar Empfehlungen aussprechen; als eine echte Aufsicht, die aufgezeigte notwendige Vertrauen des Kunden in die Unabhängigkeit einer anbietergetragenen Einrichtung bilden könnte, kann das wohl kaum angesehen werden. Auch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) wird die im Tätigkeitsbericht niedergelegten Ergebnisse der Schlichtung nur “evaluieren”.[20]

Ein weiteres Indiz für eine wirkliche Unabhängigkeit der Schlichter könnte sich aus den Jahresberichten ableiten lassen. Art. 7 Abs. 2 lit. b der sog. AS-Richtlinie [21] fordert, dass in diesen “systematische oder signifikante Problemstellungen, die häufig auftreten” dargestellt werden. Das erscheint mir für eine ausreichende Transparenz zu wenig.[22] Dazu müssten diese aber wenigstens erkennen lassen, in wie vielen Fällen die Schlichter den Begehren der Antragsteller vollumfänglich bzw. nur teilweise gefolgt sind. Dies wäre zu untermauern durch eine (wenigstens) kursorische Darstellung der wichtigsten Rechtsfragen, mit der sich die söp beschäftigen musste und aufgrund welcher Rechtsauffassung die Schlichtungsvorschläge unterbreitet wurden.[23] Dies erscheint mir schon deshalb geboten, weil die Verfahren vor der Schlichtungsstelle nicht öffentlich sind und deswegen nur so festgestellt werden kann, ob sich die “Schlichtungswirklichkeit” mit der “Gerichtswirklichkeit” (wenigstens einigermaßen) deckt.[24/25] Das wiederum ist aus meiner Sicht wichtig, weil nur so Fluggäste davon überzeugt werden können, dass die außergerichtliche Streitschlichtung eine echte Alternative zur gerichtlichen Streitentscheidung ist. Und das kann nur erreicht werden, wenn für den Fluggast auch nicht der Verdacht aufkommt, dass die Schlichtung zur Verkürzung berechtigter Ansprüche führen könnte.

3. Die im Editorial (wie auch im Geschäftsbericht 2013 [26] ) kaum verhohlene geringe Wertschätzung Isermanns der Rechtsdienstleister (z.B. EU Claim, Fairplane, Flightright), die sicherlich nicht unentgeltlich handeln – das macht die söp aber auch nicht – ist nicht nur unnötig[27], sondern auch bedauerlich. Denn diejenigen, die sich für die Durchsetzung der Passagierrechte engagieren [28], sollten nicht gegen-, sondern miteinander arbeiten. Nur so kann das gemeinsame Ziel erreicht werden, den Schutz und die Rechte der Fluggäste zu sichern und – wo nötig – zu erhöhen. Wessen Hilfe er in Anspruch nehmen will, muss der Fluggast aber allein entscheiden.[29]

Isermann kritisiert aber auch pauschal “Anwaltsbüros, die sich den Verbraucherschutz auf die Fahnen geschrieben haben, aber ein Erfolgshonorar von rund 25% einstreichen”.[30] Spätestens jetzt ist allerdings mahnend der juristische Finger zu heben. Zum einen kenne ich unter den mir bekannten Kollegen, die schwerpunktmäßig mit der Durchsetzung von Fluggastrechten befasst sind, keinen, der Erfolgshonorare erhebt. Isermann weiß als ehemaliger Richter, wie schwer in Deutschland Erfolgshonorare verwirklicht werden können. Zum anderen muss darauf hingewiesen werden, dass eine Schlichtungsstelle m.E. wenig zur Erhöhung des Schutzstandards durch Rechtfortbildung erreichen kann [31]; bestenfalls kann das Schutzniveau gehegt und gepflegt werden! Es sollte nicht verdrängt werden, dass es (u.a. deutsche und österreichische) Anwälte waren, die für die notwendige Rechtsfortbildung gekämpft haben [32] und kämpfen, nicht selten unterstützt von Rechtsschutzversicherungen oder von Rechtsdienstleistern, die die notwendige Prozessfinanzierung übernommen und so für die wirtschaftliche Waffengleichheit gesorgt haben. Alle “Schlichtungsstellen” profitieren erheblich von den Rechtsklarheit schaffenden Urteilen des BGH bzw. EuGH. Angesichts der besonderen Rolle der Anwälte bei der notwendigen Rechtsfortbildung erscheint es mir daher unangebracht, die Anwaltschaft pauschal anzugreifen.

4. Einen letzten Aspekt möchte ich noch aufzeigen: Die außergerichtliche Streitbeilegung ist zweifellos eine gute Sache. Sie kann und sollte aber die gerichtliche Tätigkeit nicht ersetzen. Denn wenn zu viel geschlichtet wird, wird nicht mehr genügend gerichtet – auch im Sinne einer richterlichen Rechtsfortbildung. Und das dient – wie aufgezeigt – nicht der Stärkung der Verbraucherrechte. Wie notwendig die richterrechtliche Rechtsfortbildung gerade auch auf dem Gebiet der Fluggastrechte ist, belegen die zahlreichen Urteile des BGH und EuGH. Von daher stimme ich Tonner[33] zu, der fordert, dass es “zu einer vernünftigen Arbeitsteilung zwischen den AS-Stellen wie der söp und der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen kommen muss”. Ob und wie das geschehen soll, ist aber von der söp leider noch nicht kommuniziert worden.

Vielleicht ist aber ja gerade die Vermeidung solcher Grundsatz-Entscheidungen [34] einer der Gründe, warum die Luftfahrtunternehmen, die viele Jahre lang die alternative Streitbeilegung vehement abgelehnt und verhindert haben, [35] dann “schlagartig” [36] doch der Schlichtungsstelle söp beigetreten sind!? Oder sollte es doch die (späte) Einsicht gewesen sein, dass die Idee der alternativen Streitschlichtung die (für sie) bessere [37] Lösung ist? Honi soit qui mal y pense.

5. Schlussfolgerung und Zusammenfassung

Gerade bei Schlichtungseinrichtungen, die ausschließlich von beteiligten Wirtschaftsunternehmen getragen werden, erscheint es mir in einem hohen Maß geboten, dass auch für Außenstehende die Verfahren und vor allem auch die Ergebnisse der Schlichtungsverfahren so transparent sind, dass keine ernsthaften Zweifel an der Neutralität der AS-Stelle aufkommen können.

Die alternative Streitschlichtung darf nicht zur weitgehenden Verdrängung der gerichtlichen und damit auch höchstrichterlichen Entscheidungen führen. Es muss bei der alternativen Streitbeilegung sichergestellt werden, dass das wichtige Instrument der richterlichen Rechtsfortbildung nicht eingeschränkt oder gar verhindert wird. Dass dieser Gedanke tragender Gesichtspunkt auch der söp bei der Bearbeitung von Streitfällen im Rahmen der Schlichtungsverfahren ist, sollte auch nach außen kommuniziert und sichtbar “gelebt” werden.


* * *

Fußnoten:

* Mit dem griffigen Titel soll nicht suggeriert werden, es werde durch die Schlichtung der Rechtsweg verkürzt. Mit dem Begriff “Richter” ist hier die richterliche Rechtsfortbildung gemeint.
** Der Autor war von 2005 – 2012 Schlichter der “Reiseschiedsstelle”, einer Schlichtungsstelle der Online-Reiseportale, die 2006 die Anerkennung durch die Europäische Union erhalten hat und in das europäische Verzeichnis grenzübergreifender Schlichtungsstellen aufgenommen worden ist.
1 RRa 2014, 181.
2 Dabei hat aber das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, und insbesondere dessen Leiter des Referates “Schadensersatzrecht, Luftverkehr”, Hans-Georg Bollweg, einen ganz wesentlichen (!) Anteil.
3 test 5/2014, S. 85.
4 Von einer “Einigung” kann man m.E. auch dann nicht sprechen, wenn der Schlichtungsvorschlag einem Luftfahrtunternehmen ein Anerkenntnis der Forderung empfiehlt und das Luftfahrtunternehmen daraufhin die Forderung anerkennt.
5 RL 2013/11/EU vom 21.05.2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten (ABl. EU Nr. L 165 vom 18.6.2013, S. 63 ff.).
6 § 14 Abs. 1, 1. Hs. LuftSchlichtV bestimmt: “Der Schlichtungsvorschlag folgt dem geltenden Recht…”. Das bedeutet nach meinem Verständnis, dass in jedem Fall der Text der Fluggastrechte-Verordnung in der Auslegung der EU-rechtlich bindenden Vorabentscheidungen des EuGH heranzuziehen ist. Streitig wird aber werden, ob sich die Empfehlungen der Schlichtungsstelle auch an der h.M. in der nationalen Judikatur orientieren müssen.
7 Dabei darf nicht außer Betracht bleiben, dass es in der großen Mehrzahl der Streitfälle bei Ansprüchen nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 um die Frage geht, ob “außergewöhnlichen Umstand” vorliegt und dazu eine umfangreiche Rechtsprechung des EuGH, des BGH und der Instanzgerichte vorliegt, die von den Fluggesellschaften aber beharrlich ignoriert wird, so dass in derartigen Fällen eigentlich die Schlichtungsempfehlung immer ganz eindeutig zugunsten der Fluggäste ausfallen muss. 8 Das bestätigen mir auch zahlreiche Kollegen, die ebenfalls große Erfahrungen bei der Anwendung der Flugastrechte-Verordnung haben, und ebenso wie die söp “unzulässige” Anträge erkennen und in diesen Fällen von der Verfolgung der vermeintlichen Ansprüche abraten.
9 Gemeint sind in erster Linie die “Hilfspersonen” der Schlichter i.S.d. § 57 Abs. 2 Nr. 4 der Luftverkehrsschlichtungsverordnung (LuftSchlichtV, BGBl. I 2013 S. 3820). “Schlichter” im Sinne der LuftSchlichtV sind nämlich nicht alle juristische Mitarbeiter einer]}90][] Schlichtungsstelle, mögen sie auch als “Schlichter” bezeichnet werden, sondern nur diejenigen Personen, die mit ihrer Unterschrift die Verantwortung für den Schlichtungsvorschlag oder eine andere verfahrensbeendende Entscheidung übernehmen (also die beiden leitenden “Schlichter”). Siehe dazu Bollweg, [demnächst] in: Giemulla/Schmid, Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht, Bd. 1, Anm. III 1 a zu § 57 LuftVG.
10 Dies geschieht in Gerichtsverhandlungen weit häufiger als es von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.
11 Vgl. z.B. Jalsovec, Im Zweifel gegen den Kunden, in: http://www.sueddeutsche.de/geld/streitschlichter-bei-banken-im-zweifel-gegen-den-kunden1.1330353.
12 Tonner (a.a.O.) fordert zu Recht ein “institutionalisiertes Vertrauen”.
12a Wer nicht weiß, was er hätte vor Gericht durchsetzen können, wird eher auch dann „zufrieden“ sein, wenn er auch nur einen Teil der Forderung erhält. Ob er aber auch zufrieden ist, wenn er wüsste, dass ein Gericht die Airline zur Zahlung verurteilt hätte oder die Airline vor Verkündung eines Urteils die Forderung zu 100% anerkennt (was inzwischen Realität ist!) wird eher nicht (mehr) zufrieden sein, wenn ihm vorgeschlagen wird, sich mit 50% der Forderung zufrieden zu geben.
13 Siehe Ziffer 11 des Jahresberichtes 2013, S. 25, https://soep-online.de/assets/files/Service/20140328_soep-Jahresbericht-2013.pdf
14 Zu anderen, neutraler wirkenden Finanzierungsformen siehe Isermann/Berlin, RRa 2010, 207 (210).15 Schon der Hofpoet Michel Beheim (1420-1470) formulierte seinen Interessenkonflikt zwischen seinen politischen Ansichten und der Rücksicht auf die Erwartungen seines Dienstherren im Epilog seiner letzten Chronik, der “Pfälzischen Reimchronik”, folgendermaßen: “Der furst mich hett in knechtes miet, ich ass sin brot und sang sin liet”, was im Volksmund mit den Worten “Wes Brot ich ess, des Lied ich sing” verkürzt wurde.16 So auch Tonner, RRa 2014, 234 ( 238).17 § 4 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 3, § 8 Abs. 2 LuftSchlichtV.18 Der Beirat ist auch kein “Steuerungsgremium” wie das nach Lektüre des Beitrags von Isermann/Berlin, RRa 2010, 207 (210, unter II 1 b) vermutet werden könnte.19 Siehe: https://soep-online.de/der-beirat.html. Unklar bleibt, ob sie ehrenamtlich, gegen geldwerten Vorteil oder gegen Entgelt tätig sind.20 So Bollweg, a.a.O. (Fn. 9), Vorb. zu § 57 ff. LuftVG, Anm. III 1 e zu § 57.21 Richtlinie vom 21. Mai 2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG, ABl. EU Nr. L 176 vom 18.06.2013, S. 63 ff.22 So auch Tonner, a.a.O., S. 239.23 Dies geschieht für den Bahnverkehr n ausgewählten Fällen bereits, noch nicht aber für den Luftverkehr. Dazu Tonner, a.a.O. S. 235 f., der darüber hinaus die Veröffentlichung von “Lösungen nebst Begründungen zumindest in Präzedenzfällen in anonymisierter Form” fordert (S. 239).24 Diese Zahlen wären auch eine wichtige Basis für die Evaluierung durch das BMJV.25 Nicht ohne Grund weist Tonner (a.a.O., S. 237) zu Recht darauf hin, dass Schlichtungsstellen “bei berechtigten Ansprüchen auch im Interesse einer schnellen Durchsetzbarkeit keine Kompromisse machten sollten”.26 Fn. 11.27 Zutreffend erscheint mir dagegen die Kritik an “Schlichtungsstellen”, die lediglich auf einen bestimmten Rechtsanwalt verweisen.28 Und dazu zählen insbesondere auch die Verbraucherschutz-Organisationen!29 Dabei kann ein Grund die Bereitschaft sein, eine Streitfrage rechtsverbindlich entscheiden zu lassen.30 So Isermann, test 5/2014, S. 85.31 Das ist kein Vorwurf, sondern eine Feststellung. Nach Art. 267 AEUV kann nämlich nur ein Gericht dem EuGH eine Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vorlegen.32 Siehe z.B. die Meilenstein-Urteile des EuGH in den Rechtssachen Sturgeon./. Condor, Böck u.a. ./. Air France, Wallentin-Herrmann ./. Alitalia, Nelson ./. Lufthansa, Folkerts . /. Air France oder Henning ./. Germanwings.33 A.a.O., S. 237.34 In der Praxis zeigt sich, dass nicht alle, aber doch zahlreiche Luftfahrtunternehmen an solchen höchstrichterlichen Klärungen nicht interessiert sind und nach einem Vorlagebeschluss eines Gerichts nahezu immer die Forderungen der Fluggäste “aus Kulanz” anerkennen und damit dem EuGH die Möglichkeit nehmen, eine umstrittene Rechtsfrage zu klären. Siehe dazu den informativen Überblick von Keiler unter http://tourismusrecht.eu/Tourismusrecht/Start_files/Uebersicht%20Rsp_EuGH.pdf.35 Ich denke da an die vehemente Ablehnung der nicht von beteiligten Wirtschaftunternehmen getragenen, sondern vom damaligen Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) initiierten “Schlichtungsstelle Mobilität”. Auch der Beitritt zur söp wurde lange Zeit abgelehnt! Siehe z.B. http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/lufthansa-verweigert-kunden-schlichtung- fluggesellschaft-kooperiert-nicht-mit-schiedsstelle/639378.html.36 So zutreffend: Berlin, RRa 2014, 210 (213).37 Wohl aber nicht: die Beste! Nur am Rande sei der Hinweis erlaubt, dass eine außergerichtliche Streitbeilegung unmittelbar zwischen dem Fluggast und dem Luftfahrtunternehmen wohl die beste Lösung wäre, weil eine kulante Zahlung als Entgegenkommen des Vertragspartners angesehen wird und einen zufriedenen Kunden erzeugt. Dies kann eine vom Kunden immer als unfreiwillig empfundene Zahlung nach einer streitigen Auseinandersetzung, sei es vor Gericht oder einer Schlichtungsstelle, kaum bewirken. Zudem würden bei einer sofortigen Zahlung aus Kulanz keine Kosten durch Mitgliedsbeitrag und Fallpauschalen anfallen.

Zum Hinterbliebenen-Schmerzensgeld im deutschen Recht

Zum Hinterbliebenen-Schmerzensgeld im deutschen Recht

Ich habe mich bewusst noch nicht zu dem schrecklichen Flugzeugabsturz am 24. März geäußert, weil ich es aus Anstand für geboten gehalten habe, mindestens die Trauerfeier für die Opfer und Hinterbliebenen dieser Katastrophe abzuwarten. Dass manche “Luftfahrt-Experten” sich dennoch bereits Stunden nach dem Unfall mehr oder weniger qualifiziert geäußert haben, ist mit Recht öffentlich hinreichend kritisiert worden. Gleiches gilt für das wenig einfühlsame Verhalten mancher Medien. Auch dazu möchte ich keine weiteren Ausführungen machen, sondern mich darauf beschränken, das Verhalten einiger Rechtsanwälte kurz zu beleuchten.

Dass Menschen auch an Bord von Flugzeugen, Schiffen, Bahnen oder Bussen verletzt oder auch getötet werden, ist ein allgemeines Lebensrisiko, das sich leider nie hundertprozentig ausschließen lässt. Viele Anwälte helfen bei solchen Unfällen Geschädigten oder Hinterbliebenen jeden Tag ohne großes Aufsehen in der Öffentlichkeit. Wenn sich aber ein Unfall ereignet, der “spektakulär” und “medienwirksam” ist oder zu werden scheint, tauchen interessanterweise immer wieder bestimmte Anwälte auf, die sich (nur bei solchen Unfällen!) als “Experten” ins Gespräch zu bringen versuchen und sich in jede Talkshow oder sonstige Fernsehsendung drängen, um ihr “Wissen” zu verbreiten.

So auch ein früherer Innenminister, der sich gerne in der Öffentlichkeit als “Luftrechtsexperte” geriert. Dieser hat in einer Talkshow auf die Frage des Moderators, ob es einen großen Unterschied mache, ob es sich bei der Ursache des Unfalls um ein technischen Defekt gehandelt hätte oder der Absturz mit Absicht herbeigeführt wurde, geantwortet: “Ja, das hat Auswirkungen auf die Haftung. Die Haftungsgrenzen fallen weg, wenn aus der Fluggesellschaft selber die Tat begangen worden ist. Sonst gibt es Haftungsgrenzen.” Da staunt der Laie und es wundert sich der Fachmann. Wie bitte? Haftungsgrenzen? Die gab es bei Luftfahrtunfällen früher einmal, als auf einen Flug wie den vorliegenden noch das sog. Warschauer Abkommen Anwendung gefunden hat. Dem „Experten“ ist aber offensichtlich entgangen, dass auf einen Flug von Barcelona nach Düsseldorf allein das seit 1999, mithin vor 16 Jahren (!) in Kraft getretene Montrealer Übereinkommen zur Anwendung kommt! Gäbe mir ein Student, der die Vorlesung “Internationales Luftverkehrsrecht” gehört hat, in einer Prüfung eine solche Antwort, hätte ich erhebliche Mühe, diese Leistung noch mit der Note ausreichend zu bewerten. Das ficht aber einen selbsternannten “Experten” nicht an, solange er sicher sein kann, dass die von der heutigen Medienwelt geprägten Ratsuchenden meinen, dass derjenige, der sich im Fernsehen präsentiert oder in der Presse Interviews gibt, allein deswegen ein “Experte” sein muss. Das Phänomen, dass Menschen sich auch mit Halb- oder Nichtwissen ungeniert als Fachmänner gerieren, ist aber offensichtlich nicht neu. Schon vor 500 Jahren formulierte der elsässische Jurist und Satiriker Sebastian Brant (14558 – 1521): “Mancher zum Meister sich erklärt, dem nie das Handwerk ward gelehrt”.

Der vorerwähnte “Experte” ließ in der nämlichen Talkshow die Zuschauer auch wissen, dass sich “der Schmerz (des Opfers) vererbt”. Ich will diese juristisch unpräzise Aussage an dieser Stelle unkommentiert lassen und eher eine seiner weiteren Weisheiten aufgreifen. Am Tage der Trauerfeier empfahl er nämlich “der Lufthansa” (nicht aber dem Schädiger der Germanwings!) über die Presse bei der Zahlung des Schmerzensgeldes “großzügig zu verfahren”. Gemeint war, Schmerzensgelder auszukehren, die über dem von deutschen Gerichten bislang gesetzten Standard liegen. Diese aufgedrängte Anregung ist sicher zulässig, löst aber das zugrunde liegende Problem nicht wirklich.

Jeder von Ihnen, der wie ich als Anwalt häufig Opfern und deren Hinterbliebenen nach Unfällen während einer Urlaubs- oder Flugreise bei der Durchsetzung berechtigter Schmerzensgeldansprüche geholfen hat, weiß, dass die bislang von deutschen Gerichten ausgeurteilten Schmerzensgeldbeträge in den meisten Fällen unangemessen niedrig sind. So haben z.B. die Hinterbliebenen des Zugunglücks von Eschede laut Presseberichten nur einen niedrigen fünftstelligen Betrag erhalten. Viel höher lagen auch nicht die Schmerzensgelder, die Eltern im sog. Wasserrutschen-Fall zugesprochen wurden, deren Kind in einem Swimmingpool des Urlaubshotels wegen mangelhafter Ansaugpumpen einer Wasserrutsche ertrunken sind. Und jeder von ihnen weiß, wie relativ wenig Schmerzensgeld in der Regel den vielen namenlosen Unfallopfern bzw. deren Hinterbliebenen im Straßenverkehr zugesprochen wird. Das muss sich ändern.

Kulantes Verhalten des Schädigers und seines Versicherers bei einem Luftfahrtunfall, der in der breiten Öffentlichkeit besonders wahrgenommen wird, zu fordern, ist sicher legitim, greift meines Erachtens aber zu kurz. Denn auch im Schmerzensgeldrecht muss der Grundsatz “Gleiches Recht für alle” beachtet werden. Außergerichtliche Einigungen in Einzelfällen schlagen sich aber in aller Regel in der Rechtsprechung nicht nieder und führen daher keine grundsätzliche Veränderung des bisherigen “Systems” herbei. Das kann nur geschehen, wenn den Politikern ein dringender Handlungsbedarf aufgezeigt wird.

Schon nach dem Concorde-Absturz im Jahr 2000 habe ich bereits ein Umdenken bei der Bemessung von Schmerzensgeldern gefordert (Nachweise: RRa 2002, 116, Fn. 25). Das aber können letztlich nur die Gerichte und der Gesetzgeber bewirken. Mein Appell ist damals wohl gehört worden, leider aber ohne Reaktionen geblieben.

Es wäre sehr zu begrüßen, würde diese schreckliche Katastrophe dazu führen, dass der Gesetzgeber nunmehr rasch klare Regelungen zum Hinterbliebenen-Schmerzensgeld (u.a. Anspruchsberechtigung und Anspruchsvoraussetzungen) vorgibt und sich die deutschen Richter bei der Bemessung eines solchen Anspruchs im konkreten Fall stärker als bisher an den Maßstäben und der Judikatur in den europäischen Nachbarstaaten orientieren.

 

TUIFly Flugannullierung wegen kranker Besatzungsmitglieder

TUIFly Flugannullierung wegen kranker Besatzungsmitglieder

Vereinzelt wird und wurde öffentlich die Ansicht vertreten, dass es sich bei den zahlreichen Krankmeldungen vom Mitarbeitern der TUIfly um einen „wilden Streik“ handelt, der – in Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH zum Streik – als (entlastender) „außergewöhnlicher Umstand“ iSd Art. 5 der Fluggastrechte-Verordnung zu bewerten ist.

Das trifft m.E. so nicht zu.
Von einem „wilden Streik“ kann nur gesprochen werden, wenn eine Belegschaft kollektiv die Arbeit niederlegt, ohne dass dieser Arbeitskampf von einer Gewerkschaft geführt wird. Davon kann aber nicht schon dann gesprochen werden, wenn eine Vielzahl von Arbeitnehmern sich krank meldet. Der Nachweis, dass es sich um einen „Arbeitnehmer-autonomen“ (organisierten) Streik handelt, steht noch aus, auch wenn einiges dafür spricht, dass die „Massen-Erkrankung“ nicht zufällig erfolgt und in zeitlichen Zusammenhang zu den angekündigten Änderungen in einigen deutschen Luftfahrtunternehmen steht.
Läge ein „wilder Streik“ vor, könnte sich TUIfly u.U. (d.h. soweit auch alle anderen Tatbestandsmerkmale des Art. 5 Abs. 3 VO erfüllt sind) von der Zahlung von Ausgleichsleistung nach der Fluggastrechte-Verordnung befreien, wenn man der Rechtsansicht des Bundesgerichtshofes folgt. Solange dieser Nachweis aber nicht erbracht ist, muss man von („zufällig vielen“) Erkrankungen der Belegschaft ausgehen. Personalmangel – auch durch Krankheit – ist aber ein Phänomen, das nicht nur, aber eben auch beim Betrieb eines Luftfahrtunternehmens auftritt und somit typischerweise der Risikosphare eines Unternehmers zuzurechnen ist.
Da es im Rahmen der Fluggastrechte-Verordnung bei der Prüfung, ob ein Luftfahrtunternehmen sich entlasten kann, nicht auf ein „Verschulden“ ankommt, sondern nur die Zurechenbarkeit eines Ereignisses, kann m.E. derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass sich TUIfly auf einen entlastenden „außergewöhnlichen Umstand“ berufen kann.
Fluggäste sollten daher ihre Rechte auch durchsetzen.