Presseberichte

zum Reiserecht
Diese Rechte haben vom Streik betroffene Passagiere
Hochschulforum Kempten am 5.5.2011: Reiserecht

Eine Million Deutsche gehen alle Jahre wieder nach ihrem Urlaub zum Anwalt, weil sie Mängel entdeckt haben. Sind die Deutschen ein Volk von Querulanten? „Beschwerden gehören zum Urlaub wie der Eiffelturm zu Paris oder das Hofbräuhaus zu München“, beschwichtigt Prof. Karl Born, der als Vorstand bei der TUI „ZAK – Zügige Abhilfe und Kulanz“ eingeführt hat, um Mängel möglichst schon vor Ort zu beheben. Beim Reiserechtsforum in der Hochschule Kempten zitiert der Touristiker Douglas Adams („Das Restaurant am Ende des Universums“): „Der Reiseführer ist endgültig, die Wirklichkeit ungenau.“
Auslegungssache ist für viele auch das Recht der Reisenden. Prof. Dr. Ernst Führich von der Hochschule Kempten setzt seit langem dagegen mit dem Competenz Centrum Reiserecht, zahlreichen Büchern, einer eigenen Internetseite sowie in der Deutschen Gesellschaft für Reiserecht. Zur  Verabschiedung des „Reiserechts-Papstes“ in den Ruhestand fand in Kempten das Reiserechtsforum statt, auf dem sich namhafte Reiserechtler mit dem Recht auf Reisen auseinander setzten.

Ein „gefährliches Desinteresse“ im Tourismus an juristischen Fragestellungen hat Prof. Dr. Ronald Schmid festgestellt. Gefährlich deshalb, weil „Juristen die Rahmenbedingungen der Tourismusindustrie“ mit bestimmen – und das nicht nur in Deutschland sondern im völkerrechtlichen Sinn. Durch Unkenntnis und Halbwissen entstünden immer wieder „Rechtsmärchen“, bemängelt der Reiserechtsexperte und führt als Beweis die Frage der „Höheren Gewalt“ an.
Bei Umbrüchen wie derzeit im Nahen Osten, bei Naturkatastrophen und bei terroristischen Anschlägen im Urlaubsland verlautbarten die Reiseunternehmen „fast gebetsmühlenartig“: „Höhere Gewalt“ liegt nicht vor, weil das Auswärtige Amt keine Reisewarnung erlassen hat.“ Nach Schmids Meinung ein „Rechtsmärchen“, das sich allein deswegen verfestigt hat, weil es immer wieder erzählt wird. Es könne nicht scharf zwischen Reisewarnung und verschärftem Sicherheitshinweis unterschieden werden, zumal das Auswärtige Amt „in der glanzvollen Besetzung unseres jetzigen Außenministers“ die Einstufungen auch von politischen und wirtschaftlichen Rücksichtnahmen abhängig mache und die Gefahrenlagen selbst als oft unübersichtlich einstufe. Auf seiner Internetseite lehnt das Auswärtige Amt eine Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit sowie eine Haftung für eventuell eintretende Schäden ab: „Die Entscheidung über die Durchführung einer Reise liegt allein in Ihrer Verantwortung. Diese kann Ihnen vom Auswärtigen Amt nicht abgenommen werden.“ Schmid: „Die Einstufung als Höhere Gewalt kann also nicht allein von einer Reisewarnung des Auswärtigen Amtes abhängig gemacht werden.“ Allerdings sei eine solche Warnung „ein starkes Indiz für das Vorliegen höherer Gewalt“. Für Reisende selbst bedeutet Höhere Gewalt, dass sie den Reisevertrag kündigen und bei einem anderen Veranstalter buchen könnten. Dass die Veranstalter in solchen Fällen oft nur eine kostenlose Umbuchung anböten und dies noch als Kulanz darstellten, ist nach Meinung Schmids ein weiteres Rechtsmärchen.

Auch die Tatsache, dass Veranstalter mit der Berufung auf „Höhere Gewalt“ eine Minderung des Reisepreises ablehnen, wenn etwa – wie bei den Unruhen in Ägypten geschehen – Ausflüge im Urlaubsland ausfallen mussten, sieht Schmid kritisch: „Ausgefallene Reiseleistungen“, davon ist er überzeugt, „müssen kompensiert werden“. Ebenso falsch sei die Berufung der Luftfahrtunternehmen auf „außergewöhnliche Umstände“, wenn Flüge „wegen technischer Probleme“ deutlich verspätet seien oder gar annulliert werden müssten. Wer damit ständig eine Ausgleichszahlung ablehne, mache sich der „beharrlichen Verweigerung der Passagierrechte“ verdächtig. Das könnte Sanktionen nach sich ziehen vom Bußgeld bis zum Entzug der Betriebserlaubnis, warnt Schmid.

Mit dem Dschungel der Fluggastrechte befasst sich Prof. Dr. Klaus Tonner von der Universität Rostock und verhehlt nicht, dass sich das Montrealer Übereinkommen von 1999, das auf Ankunftsverspätung, und die Fluggastrechte Verordnung der EU von 2004, die auf Abflugverspätung abstellt, „vielfach ins Gehege kommen“. In Brüssel vergesse man „gelegentlich, dass die Welt nicht nur aus Europa besteht“, rügt Tonner. In den meisten Fällen habe das Montrealer Übereinkommen Vorrang. Trotzdem habe der Europäische Gerichtshof beispielsweise 2006 zugunsten der EU-Fluggastrechteverordnung entschieden. Danach könne man nicht von Annullierung sprechen, wenn der Fluggast irgendwie – auch eine Woche später – ans Ziel kommt. „Das haben sich die Fluggäste nicht gefallen lassen“, berichtet Tonner. 2009 habe der EuGH schließlich entschieden, dass eine Verspätung über drei Stunden mit einer Annullierung gleichzusetzen sei und eine Ausgleichszahlung erfolgen müsse. Dagegen lief wiederum die Europäische Luftfahrtindustrie Sturm. Der Europäische Gerichtshof musste widerrufen und könne, so Tonner, die Verordnung eher noch verschärfen.

Wenn Führich der Reiserechtspapst ist, wer ist dann der liebe Gott, fragt Prof. Dr. Ansgar Staudinger von der Universität Bielefeld und gibt gleich selbst die Antwort: Das sei dann wohl der EuGH, der sich stets selbst zitiere. Bei seinem Vortrag über Stolpersteine in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen stellt der Rechtsprofessor kategorisch fest: „Klauseln über eine Anzahlung in Höhe von 40 Prozent sind unangemessen.“ Nicht zulässig erscheint nach Staudingers Ausführungen auch eine zeitliche Limitierung der Haftung „qua Formularabrede“, wenn es um  Körper- oder Gesundheitsverletzungen geht. Gleichwohl hielten immer noch einige aus der Reisebranche an solchen Klauseln fest.

Eine Faustregel im komplizierten europäischen Rechts-Dschungel hat Prof. Dr. Stephan Keiler von der Universität Salzburg parat: „Der Verbraucher darf sein eigenes Recht mitbringen.“ Das heißt, bei grenzüberschreitenden Auseinandersetzungen ist nicht ausschließlich das deutsche Recht gültig. Das kann Vorteile haben, wenn etwa das österreichische Recht für den Verbraucher günstiger ist. Ebenfalls wichtig zu wissen: Die Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes gelten nur für deutsche Staatsbürger.

„Die Anwälte sind dankbar, dass wir so eine Art Staubsauger für Fälle mit geringem Streitwert sind“, ist Edgar Isermann überzeugt. Der ehemalige Präsident des OLG Braunschweig leitet die „Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr“ in Berlin, die jährlich 2500 Anträge aus dem Bahnsektor behandelt, die Hälfte davon zum Thema Fahrgastrechte. Laut Paragraph 37 der Eisenbahnverkehrsordnung können Reisende die Schlichtungsstelle bei kritischen Fragen anrufen. 90 Prozent seien mit dem Schlichtungsspruch zufrieden, registriert Isermann stolz. Wichtig sei dabei der Faktor „Kulanz“, vor allem dann, wenn nach dem Gesetz eigentlich kein Anspruch bestehe. Die Bahnunternehmen zeigten aber in vielen Fällen ein Entgegenkommen gegenüber dem Kunden, wenn der Einzelfall dafür Anhaltspunkte gebe, so Isermann. Auch habe die Schlichterarbeit anderweitig Wirkung gezeigt. So gebe es das „59-Minuten-Syndrom“ nicht mehr, also den Streit, ob der Zug tatsächlich mehr als 60 Minuten verspätet und die gesetzliche Mindestzeit für eine Entschädigung damit überschritten war. „Das regelt die Bahn jetzt pragmatisch und der Kunde muss nicht mehr zur Schlichtungsstelle“.

Dass auch der Inlandstourismus Stolperfallen hat, macht Rechtsanwalt Rainer Noll, Mitglied im Rechtsausschuss des Deutschen Reiseverbandes deutlich. „Dürfen Inlandsstellen als Reiseveranstalter tätig sein?“ fragt er, und gibt sich gleich selbst die Antwort: „Es wird gemacht nach dem Prinzip Hummel. Die kann eigentlich nicht fliegen, weiß es nur nicht.“ Aus verfassungsrechtlicher Sicht gebe es keine ernsthaften Grenzen, beruhigt Noll: „Lassen Sie sich nicht ins Bockshorn jagen.“ Allerdings hat er doch einige Fallen entdeckt. Denn nach der Definition der Pauschalreise als Verbindung von mindestens zwei touristischen Leistungen könnte auch ein Hotelaufenthalt mit Programm schon eine Pauschalreise sein oder auch eine Radtour mit Vesper und Guide, ein Aufenthalt am Urlaubsort in Verbindung mit einer FreizeitCard. All das seien spannende Fragestellungen, erklärt Noll und wertet die Zahlungsregelung als Schlangengrube. Unter die „äußerst kuriosen Geschichten“ reiht Noll auch Aktivurlaub mit Canyoning, Paragliding, und ähnlichen Aktivitäten ein, „mit denen sich die Menschen in ihrem Urlaub das Leben zu nehmen versuchen“ ein. Solche Packages könne man wohl nicht als kommunale Aufgaben betrachten, urteilt der Experte. Sie seien deshalb genauso wenig wie etwa Flug-Pauschalreisen von der Haftpflichtversicherung gedeckt, die „notorisch ängstliche Menschen wie Bürgermeister oder Kämmerer“ abschließen und die ausschließlich kommunale Tätigkeiten betreffe.

„Hilfe, mein Urlaub geht zu Ende und ich habe mich noch nicht beschwert“ war das Motto, unter das Karl Born seine launigen Anmerkungen zum Thema Reklamationen gestellt hatte, mit denen er zu mehr Gelassenheit rät. Zwar gebe es mitunter gute Gründe, sich im oder auch nach dem Urlaub über Reise-Mängel zu beschweren, räumt der Touristik-Professor ein. Aber das Urlaubsglück werde doch ziemlich getrübt, wenn man „ständig mit der Frankfurter Tabelle“ rumlaufe.

(Quelle: http://lilos-reisen.de Nachdruck mit Freundlicher Genehmigung der Autorin)

Aschewolke: 1 Jahr danach fehlen noch klärende Urteile

Wiesbaden (dpa/tmn 9.4.2011) – Ein Jahr nach der Aschewolke fehlen weiter oberrgerichtliche Urteile zu den Ansprüchen der Reisenden. “Durch pragmatisches Verhalten der Airlines und Veranstalter ist leider weniger geklärt, als wünschenswert wäre”, sagte Prof. Ronald Schmid aus Wiesbaden dem dpa-Themendienst. Die meisten Fluggesellschaften hätten die Kosten für Hotel und Verpflegung der gestrandeten Urlauber gezahlt, oft kurz vor einem Prozess, um keine Urteile und damit Präzedenzfälle zu haben. Selbst Billigflieger hätten in einzelnen Fällen die Hotelkosten für eine ganze Woche übernommen. Denn «die nächste Aschewolke kommt bestimmt», sagte Schmid.

Es gebe mittlerweile einige Urteile in niedriger Instanz, die den Anspruch der Reisenden bestätigen. Demnach entbinden außerordentliche Umstände wie die Aschewolke nach dem Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull in Island die Fluggesellschaften nicht von ihrer Verpflichtung. Die Airlines müssen also gemäß der Fluggastrechteverordnung der Europäischen Union (EU) Hotelkosten, Essen und Trinken sowie Telefonate nach Hause bezahlen, wenn Flüge ausfallen und Urlauber festsitzen. Außerdem habe sich die Europäische Kommission eindeutig in diesem Sinne geäußert, erklärte Schmid.

Strittig sei dagegen weiterhin die Frage, ob die Fluggesellschaften Hotelkosten in unbegrenzter Höhe bezahlen müssen. Ein klärendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs erwartet Schmid für das kommende Jahr.

Der Reiserechtler verhandelt selbst derzeit noch einen Fall, in dem die Airline ablehnt, die tatsächlichen Kosten für mehrere Tage im Luxushotel zu übernehmen. Denn das sei “unmäßig”. Der Kunde hätte sich selbst ein günstigeres Hotel suchen müssen, so die Argumentation des Unternehmens. Schmid sieht die Rechtslage so: “Wenn die Airline ein anderes Hotel stellt, muss der Kunde wechseln. Aber wenn sie es nicht tut, hat sie schlechte Karten.”

© dpa  Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der dpa

 

Verspätungen und Annullierungen im Luftverkehr: Airlines ignorieren EU-Recht/ Air Berlin-Chef wettert gegen Anwälte Luftrechtler Schmid: “Herr Hunold verdreht die Dinge in unzulässiger Weise”

Von WOLFGANG GESSLER

airberlin-Chef Joachim Hunold attackiert Anwälte, die Flugpassagiere vertreten. Da werde von “selbst ernannten Verbraucherschützern” immer öfter “vehement Stimmung” gegen die Airlines gemacht. “Ganze Anwaltsfabriken”, so der Manager, reichten “massenweise standardisierte Klageschriften” ein. Das schreibt der Airline-Boss im Editorial seines aktuellen “airberlin magazin” und fügt noch hinzu: “Das ist ein prima Geschäft, denn diese Juristen kassieren, ganz gleich, wer vor Gericht gewinnt.”
Was Hunold offenbar missfällt: Immer mehr Passagiere nehmen ihre europäischen Fluggast-Rechte wahr. Danach haben sie Anspruch auf bis zu 600 Euro pro Peron, wenn Flüge kurzfristig annulliert werden oder sich der Abflug um mehr als drei Stunden verspätet. Es sei denn, “außergewöhnliche Umstände” haben diese Flugprobleme verursacht. Dazu zählen Flughafenschließungen und extreme Wetterkapriolen wie etwa orkanartige Winde oder dichter Nebel. Ob Schnee und Eis im Winter auch “außergewöhnlich” sind, darüber wird derzeit heftig diskutiert. Und ebenso darüber, ob Streiks generell die Airline vor Ausgleichszahlungen an ihre Passagiere bewahren. Auf den jüngsten Streik der Lotsen in Spanien nimmt Hunold Bezug. Er erklärt pauschal: Die Ansicht, von Streiks betroffene Passagiere könnten Entschädigungen verlangen, würde “natürlich nicht stimmen”.
Der renommierte Luftrechtler Professor Ronald Schmid hält dagegen: Es sei für Juristen “keineswegs klar, sondern vielmehr sehr streitig”, ob die Airlines bei jedem Streik einfach aus dem Schneider seien. Zumindest wenn das eigene Personal streike, müssten die Fluggesellschaften dafür geradestehen.
Aber auch sonst gefällt Schmid, selbst Anwalt, keineswegs, was der airberlin-Chef unterstellt: “Herr Hunold verdreht die Dinge in unzulässiger Weise”, so resümiert der Rechts-Experte. Die Rechtsanwälte, die für Passagiere tätig werden, versuchten doch lediglich, solche Rechte durchzusetzen, “die zwar verbrieft sind, von einigen Luftfahrtunternehmen aber dennoch verweigert werden”.
Und in der Tat: Eine Umfrage der Verbraucherzentralen hatte den Fluggesellschaften unlängst erhebliche Defizite bei der Umsetzung europäischen Rechts bescheinigt. Dabei geht es nicht nur um Geldzahlungen, sondern auch um kostenfreie Mahlzeiten oder Hotelunterkünfte, die Passagieren etwa bei großen Verspätungen zustehen. Fazit der Verbraucherschützer: Beschwerden werden von den Airlines sehr gerne “einfach ausgesessen”. Service-Stellen sind nicht erreichbar oder reagieren einfach nicht; die Bearbeitungszeiten sind oft unzumutbar. Und obwohl sie dazu verpflichtet sind, informieren viele Airlines ihre Gäste nicht umgehend oder teilweise fehlerhaft über ihre Rechte. Folge: Viele Passagiere nehmen diese Rechte erst gar nicht in Anspruch.
Tun sie es doch und bleiben entschlossen, so landen solche Fälle immer häufiger vor Gericht. Die Deutsche Gesellschaft für Reiserecht dokumentiert in der Zeitschrift “ReiseRecht aktuell” hierzu eine wachsende Flut juristischen Auseinandersetzungen. Mit Tricks versuchen die Airlines dabei, sich aus ihrer Verantwortung zu stehlen, immer nach dem Motto: Verspätung oder Flugausfall waren einfach Folge “außergewöhnlicher” Umstände. Von Umständen also, die sie auch bei bestem Willen und größter Sorgfalt “nicht beherrschen” konnten.
Doch die zuständigen Richter schieben ihnen hier häufig einen Riegel vor. Nicht “außergewöhnlich” sind demnach ein Triebwerkschaden (LG Düsseldorf, Az.: 22 S 215/08), ein fehlender Mechaniker (AG Rüsselsheim, Az. 3 C 387/10 [35]), eine fehlende Ersatz-Crew (AG Düsseldorf, Az.: 232 C 3487/07) oder das unerklärliche Auslösen einer Notrutsche (AG Rüsselsheim, Az.: 3 C 1316/09 [32]). Mit solchen Rechtfertigungen hatten Fluggesellschaften versucht, Zahlungen an betroffene Passagiere zu verweigern. Vergebens.
Mit Blick auf sein tägliches Geschäft meint Luftrechtler Ronald Schmid: “Würden alle Airlines ihren Verpflichtungen aus der Passagierrechte-Verordnung freiwillig nachkommen, könnten und müssten Rechtsanwälte gar nicht aktiv werden.” Und wegen der oft “relativ geringen Streitwerte” bei solch juristischen Auseinandersetzungen könne keiner “ernsthaft von Profitgier sprechen”. Der Fachmann: “Das ist vielmehr ein Engagement für die Gerechtigkeit und verbesserten Verbraucherschutz.”

© Nachdruck genehmigt durch Redaktionsbüro Gessler
Wolfgang Gessler M.A. , Mühltalweg 9   83131 Nussdorf
Tel: (0)8034-706740    MAIL: wog@gessler-media.de

Das ZDF-Wirtschaftsmagazin WISO berichtete: Schiedsstelle bei Reisemängeln – Online-Schlichter hilft Verbrauchern kostenlos

Schiedsstelle bei Reisemängeln – Online-Schlichter hilft Verbrauchern kostenlos
(20.03.2006)

Der Trend zur Reisebuchung im Internet ist ungebrochen. Neben Hotel, Mietwagen sowie Bahn- oder Flugtickets werden auch immer mehr Pauschalreisen online geordert. Jedoch kann es auch im Internet bei der Buchung oder während der Reise zu Problemen kommen, die nicht einvernehmlich gelöst werden können. Damit der Streit zwischen Anbieter und Verbraucher nicht eskaliert, wurde eine Reiseschiedsstelle für Online-Buchungen eingerichtet.

 

GERMANWINGS-ABSTURZ: UNREDLICHES POKERN UM SCHMERZENSGELDER

Von Prof. Dr. Ronald Schmid, Wiesbaden /Dresden

Das Vorgehen bestimmter „Opferanwalte“, die Hinterbliebene der Germanwings Absturzes vertreten, mag Laien beeindrucken, Fachleute sind eher irritiert.

Nachdem sie bereits am Tag nach der Trauerfeier in Köln die mögliche Klage in den USA öffentlich in Aussicht gestellt haben (was wohl heißen sollte: es werden Forderungen in Millionenhöhe geltend gemacht), scheinen sie nun begriffen zu haben, dass ein Gerichtsstand für eine solche Klage kaum begründet werden kann, und – falls doch – ein US-Gericht wohl deutsches Recht anwenden würde, so dass das ausgeurteilt würde, was auch in Europa erstritten werden kann, allerdings unter Abzug des nicht unerheblichen Erfolgshonorars eines US-amerikanischen Anwalts!

Wieder auf den Boden der (Rechts-)Tatsachen angekommen, kämpfen die Anwälte nun für das größtmögliche Schmerzensgeld für die Hinterbliebenen nach deutschem Recht. Das ist legitim und deshalb nicht zu beanstanden. Doch fragt man sich, warum das öffentlich debattiert werden muss und nicht – wie in vielen tausenden von anderen Schadensfällen auch – zwischen den Parteien diskutiert wird. Das gewählte Einbeziehen der Medien schon in diesem frühem Stadium ist nicht nur schlechter Stil, sondern in meinen Augen auch unanständig, weil die moralische Belastung des schadensverursachenden Unternehmens und dessen verständliche Angst an vor weiterer Rufschädigung ausgenutzt wird. So ein Vorgehen kann und sollte die ultima ratio sein, wenn Verhandlungen nicht in Gang kommen oder wirklich unangemessene Angebote unterbreitet werden. Davon kann aber m.E. bei objektiver und emotionsloser Betrachtung nicht gesprochen werden.

Den Erben der Opfer wurde „von Lufthansa“ (richtig müsste es „von Germanwings bzw. dessen Versicherer“ heißen!) ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 € „für das Leiden des Opfers“ angeboten und weitere 10.000 € für die individuelle Gesundheitsbeschädigung engster Angehöriger. Das ist gemessen an der geltenden Rechtslage in Deutschland und der dazu ergangenen Judikatur deutscher Gerichte sicher nicht „empörend“, „unangemessen“ oder „beleidigend“ und schon gar keine „Lachnummer“, sondern bewegt sich im Rahmen dessen, was bislang vor deutschen Gerichten an Schmerzensgeld erstritten wurde. So haben z.B. die Hinterbliebenen des Zugunglücks von Eschede laut Presseberichten nur umgerechnet 15.000 € erhalten. Und viel höher lagen auch nicht die Schmerzensgelder, die im sog. Wasserrutschen-Fall den Eltern zugesprochen wurden, deren Kind in einem Swimmingpool des Urlaubshotels wegen mangelhafter Ansaugpumpen einer Wasserrutsche ertrunken sind.

Sollte das aber den Hinterbliebenen bei der Mandatsanbahnung nicht oder nicht deutlich genug gesagt worden sein, der Fokus vielmehr auf die angedachte Klage in der USA gelegt worden sein, wäre die Reaktion der Hinterbliebenen auf das Angebot nachvollziehbar.

Wenn die “Opferanwälte” einen „niedrigen sechststelligen Betrag (also mindestens 100.000 €) fordern, weist das auf eine von (nachvollziehbarem) Wunschdenken getragene gewisse Realitätsferne hin. Dies wird bestärkt durch den Hinweis auf in der Folge des Concorde-Absturzes angeblich gezahlten „1,2 Mio. € pro Passagier“. Da ich bei diesem Absturz selbst Hinterbliebene vertreten habe, kann und werde ich – anders als andere – die vereinbarte Vertraulichkeit nicht brechen und zur Höhe der Zahlungen nicht Stellung nehmen. Aber so viel kann gesagt werden: Die sicherlich sehr beträchtlichen Summen konnten damals nur deshalb verhandelt werden, weil durch den Zielflughafen der Concorde (New York) zweifelsfrei ein Gerichtstand in den USA eröffnet war. Und: Alle Beträge, die an die Hinterbliebenen geflossen sind, umfassten den materiellen Schaden und das Schmerzensgeld.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich halte das deutsche „Schmerzensgeldrecht“ und die dazu entwickelte Rechtsprechung – gerade auch mit Blick auf viele andere  westeuropäische Staaten – aus rechtspolitischer Sicht für nicht akzeptabel und dringend reformbedürftig. Das deutsche Recht muss einem Vergleich mit dem westeuropäischen Standard in anderen Staaten auch beim Schmerzensgeld standhalten können. Die Forderung nach einem Regel-Schmerzensgeld von 100.000 € kann ich daher grundsätzlich durchaus verstehen und mittragen. Doch sind außergerichtliche Verhandlungen über Schmerzensgeldansprüche aufgrund einzelner Unfälle dazu wenig geeignet, weil sie jedenfalls dann keinen neuen „Standard“ bilden können, wenn die Ergebnisse – wie in der Praxis üblich – durch eine Verschwiegenheitsklausel vor der Öffentlichkeit verborgen werden und sich demzufolge auch nicht in der Rechtsprechung niederschlagen können.

Das erstrebenswerte Ziel der grundsätzlichen Verbesserung des deutschen Schmerzensgeldsystems kann also allein durch den Gesetzgeber erreicht werden. Im Zuge einer solchen Reform kann und sollte auch geregelt werden, ob der Kreis der Anspruchsberechtigten – wie in den USA – weiter gefasst werden sollte als es nach deutschem Recht bislang möglich ist.

Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag das Ziel gesteckt, das Schmerzensgeldrecht zu reformieren. Nun ist es hohe Zeit, dass sie es nicht bei der medienwirksam zur Schau gestellten Betroffenheit über den Absturz belässt, sondern endlich auch handelt. Viel Zeit bleibt in dieser Legislaturperiode dafür nicht mehr.

[Quelle: fvw-online vom 24.07.2015, Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der fvw-Redaktion]