Dörnröschen und der falsche Prinz

Liebe Leserinnen und Leser,

2013 hat die EU-Kommission versucht, die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 zu überarbeiten. Damals konnte das EU-Parlament, das sich sehr für Verbraucherschutz einsetzt, dieses Vorhaben, das überwiegend nur eine Verschlechterung des erreichten Schutzstandards vorsah, noch verhindern. Danach ist die Änderungs-Verordnung in einen Dornröschenschlaf gefallen.

Nun ist aus Brüssel zu hören, dass der Rat unter dem Vorsitz Kroatiens die Vorbereitungen treffen will, damit in der zweiten Jahreshälfte 2020 das Reformvorhaben unter dem deutschen Vorsitz endlich vollendet werden kann. In der Veröffentlichung des Rates vom 15.2.2020 (https://www.consilium.europa.eu/de/policies/air-passenger-rights/) wird suggeriert, es ginge um „Klärung rechtlicher Grauzonen“. In Wirklichkeit schaffen das aber die wenigsten Neuregelungen und nur wenige sind „neue und weitergehende Rechte“; vielmehr beschneiden die meisten im Wesentlichen das durch die Verordnung und die Judikatur des EuGH erreichte Schutzniveau. Durch die Einengung der „außergewöhnlichen Umstände“ und die Anhebung des Schwellenwertes für die Auslösung einer Ausgleichsleistung auf 5 und mehr Stunden werden künftig weit weniger Fluggäste Ansprüche geltend machen können als bisher und weitaus mehr Ärgernisse und Unannehmlichkeiten durch Flugunregelmäßigkeiten ertragen müssen, da das Recht auf eine Ersatzbeförderung mit anderen Luftfahrtunternehmen erst nach 12 Std. bestehen soll. Daneben sind „Errungenschaften“ wie Vorschriften für Mobilitätshilfen und Musikinstrumente und die Verpflichtung der Airlines, Beschwerdeformulare vorzuhalten, eher bedeutungslos.

Erstaunlich ist die Haltung der Bundesregierung dazu. Im Koalitionsvertrag zur 18. Legislaturperiode (S. 88) wollte sie sich noch für den Erhalt des bestehenden Schutzniveaus einsetzen, im Koalitionsvertrag von 2018 (S. 81) aber nur noch den Vorschlag der Kommission unterstützen. Das ist etwas anderes, weil der Kommissionentwurf 2013 im Kernbereich das erreichte Schutzniveaus abbaut. Da muss man sich fragen, was sich im Zeitraum zwischen den beiden Erklärungen eigentlich geändert hat. 

Erstaunlich ist auch, dass bislang niemand der an dem Änderungsprozess Beteiligten von den Luftfahrtunternehmen den Nachweis gefordert hat, dass deren „Belastungen“ durch die Verordnung tatsächlich so erheblich sind, dass ein Abbau der Schutzrechte geboten sein könnte.  

Nach alledem täte Dornröschen also gut daran, weiter zu schlafen. Denn jedenfalls der jetzige Prinz meint es nicht wirklich gut mit ihm. Im Märchen wehrt das Dornegestrüpp solche „Retter“ ab. Es bleibt daher zu hoffen, dass das EU-Parlament (mit seinen verbraucherschutzorientierten Parteien), das zumindest beim Setzen eines hohen Verbraucherschutzstandards bislang noch gutes Ansehen bei vielen Wählern hat, mit diesen Pfunden wuchert und für den Erhalt des Schutzstandards kämpft. Von der Kommisson wird man da nichts erwarten dürfen.

RA Prof. Dr. Ronald Schmid

Erscheint in Heft 2/2020 der Zeitschrift ReiseRecht aktuell